Die Geschichte der Inlandsbanan ist nicht nur die Geschichte einer 1.290 Kilometer langen Bahnstrecke, eine Geschichte von Arbeit, Engagement und Träumen. Es ist auch ein Teil der Geschichte Schwedens in der Entwicklung von einer Agrargesellschaft zu einer Industrienation.
Die Geschichtsreise mit der Inlandsbanan beginnt am Ende des 19. Jahrhunderts, als die Bauerngesellschaft langsam einer neuen Zeit weichen musste – der Industrialisierung.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Heranwachsen der Industriegesellschaft war die Verbesserung der Verkehrswege. Früher waren Transporte über Land mit großen Schwierigkeiten verbunden, weil sie viel Muskelkraft erforderten, sei es die der Menschen oder der Tiere.
Während der Industrialisierung kam es zu großen Veränderungen. Kanalschleusen wurden mechanisch angetrieben, was einen verstärkten Kanalverkehr erlaubte. Dampfmaschinen wurden für den Antrieb von Eisenbahnen und Schiffen eingesetzt.
Die Eisenbahn bot neue Möglichkeiten. Waren gelangten zu neuen Kunden, Arbeitslose bekamen Arbeit. Mit der Eisenbahn ließen sich Massentransporte auf dem Landweg erstmals rentabel durchführen.
Schon in den Jahren ab 1840 zeigten englische Firmen Interesse daran, Eisenbahnlinien in Schweden zu bauen und zu betreiben. Um die Ausbreitung der Eisenbahn steuern zu können, beschloss der schwedische Staat in den 1850er Jahren, eine Reihe von nationalen Eisenbahnlinien zu bauen, die so genannten Hauptbahnen. Gleichzeitig überließ der Staat den Bau von regionalen und lokalen Bahnen privaten Interessenten, vor allem der Wirtschaft und den Gemeinden.
Der Staat sah in der Eisenbahn eine Ergänzung zur Seefahrt und eine Möglichkeit, die abgelegenen Gebiete im Land zu fördern. Deshalb wurden die Bahnen nicht nur durch bewohnte Gebiete mit Städten, Seen und Flusstälern gebaut, sondern auch durch unbewohnte, einsame Landschaften.
Ehemals isolierte Gebiete wurden mit dem übrigen Land verbunden, und Dorf und Stadt an ein Eisenbahnnetz angeschlossen, das schnell und kontinuierlich wuchs. Neue Städte und Ortschaften wuchsen an den neuen Bahnlinien empor.
Der Bau der Hauptbahnen erfolgte in drei Etappen. 1854–1875 entstanden Strecken, die die expansiven Regionen im südlichen und mittleren Schweden miteinander verbanden. 1880–1905 wurden die nördliche Hauptbahn und die Erzbahn gebaut. Die dritte Etappe fand zwischen 1907 und 1937 statt – in dreißig Jahren entstand die Inlandsbanan.
Sowohl der Staat als auch die Wirtschaft glaubten fest an Norrland, das nördliche Schweden, als ein Land der Zukunft, wo sich das Hauptaugenmerk auf die expandierende Forstindustrie, die Bergwerke in Norrbotten und die 188 im Staatsbesitz befindlichen Wasserfälle richtete, die auf ihren Ausbau warteten.
Norrlands Wälder sollten Holz für mehrere Sulfitfabriken an der Bahnlinie liefern. Auch große Sägewerke sollten mithilfe der Inlandsbanan im Binnenland errichtet werden. Holzkohle sollte zu den Eisengießereien im Süden transportiert werden. Norrland sollte aufblühen!
Bevor der Streckenbau begann, waren umfangreiche Untersuchungen nötig, um eine günstige Streckenführung hinsichtlich Baukosten, Geländeeignung, Lage von Siedlungen, Brückenbau und Wünschen der berührten Gemeinden zu ermitteln.
Die Arbeiten begannen oft an zwei Endpunkten einer Teilstrecke, von wo aus sich mehrere Arbeitsmannschaften aufeinander zu bewegten. Zuerst wurde entlang der abgesteckten Trasse ein Bahndamm aus Schotter aufgeschüttet. Imprägnierte Holzschwellen wurden als Unterlage für die Schienen und Halt für die Unterlagsplatten und Schienennägel ausgelegt. Dann konnten die langen Schienenstücke eingemessen, mit Laschen und Bolzen verbunden und schließlich mit Nägeln auf den Schwellen befestigt werden. Wenn das Gleis verlegt war, wurden die Schwellen mit Kies eingeschottert, um das Gleis dauerhaft mit dem Bahndamm zu verbinden.
Die Arbeiter waren in Gruppen eingeteilt, die jeweils bestimmte Arbeiten verrichteten. Landvermesser, Erdarbeiter, Sprengarbeiter, Kiesarbeiter, Gleisschieber, Schienenleger, Maurer, Bremser, Pumpenarbeiter und Holzfäller sind einige der speziellen Arbeitsfelder, die sich in dem mythenumwobenen schwedischen Sammelbegriff rallare vereinigen. So bahnten sich die rallare ihren Weg bei Schwedens bis dahin größtem Bauprojekt.
Zu Beginn war es nötig, Material und Versorgungsgüter mit Pferden durch wegloses Land zu transportieren. Nach und nach wurden Transportwege angelegt.
Die Arbeiter hatten Anspruch auf kostenlose ärztliche Versorgung, kostenlose Medikamente und „gelegentliche Bäder“, allerdings mit einer Einschränkung: „Diese Vergünstigungen stehen denjenigen Arbeitern nicht zu, deren Krankheit durch Alkoholmissbrauch verursacht wurde.“
Der Stundenlohn betrug 1910 ca. 45 Öre und stieg bis zu den Schlussarbeiten 1937 auf eine Krone und 35 Öre.
Anfangs wohnten die Mannschaften in einfachen Holzhütten, in äußerst primitiven Unterkünften ohne jeglichen Komfort. Mit der Zeit wurden die Wohnverhältnisse verbessert. An den Bauplätzen wurden Baracken mit ca. 70 Quadratmetern Grundfläche errichtet. Sie beherbergten 12–16 Mann und eine Haushälterin. Die Arbeiter schliefen jeweils zu zweit auf einer Pritsche, während die Haushälterin ihren Schlafplatz in der Küche hatte.
Im Verlauf der Inlandsbanan wurden zahl¬reiche Brücken von unterschiedlicher Größe gebaut, um die vielen Wasserläufe zu überqueren. An den großen Flüssen waren lange, teils mehrteilige genietete Fachwerkbrücken aus Stahl erforderlich, mit starken Sockeln und Fundamenten aus Beton oder Stein. Bäche und kleinere Flüsse konnten mit einteiligen Brücken überquert werden, deren Widerlager vollständig aus Stein gemauert wurden.
Die Gebäude entlang der Inlandsbanan zwischen Sveg und Gällivare wurden durchgehend aus Holz errichtet. Es waren ganz unterschiedliche Arten von Gebäuden, die aber alle nach Einheitsmustern gebaut waren, was spätere Anbauten ermöglichte.
Der Bahnbetrieb erforderte eine große Zahl von Funktionsgebäuden. Lokomotivbahnhöfe wurden in Sveg, Sorsele, Storuman, Arvidsjaur und Jokkmokk gebaut.
Eine über 1.000 Kilometer lange Bahnstrecke ist naturgemäß ein kolossales Projekt, das sich dennoch bedeutend schneller als in 30 Jahren hätte verwirklichen lassen. Man war anfangs davon ausgegangen, dass der Bahnbau 1924 abgeschlossen sein würde, also 13 Jahre früher als tatsächlich geschehen.
Warum dauerte der Bau der Strecke so lange? Das hatte mehrere Ursachen. Der Erste Weltkrieg, eine lange Konjunkturflaute und zeitweiliger Mangel an Arbeitskräften sind einige davon – aber auch wechselnde Motive und Engagement der Politiker während der Bauzeit, der Kampf zwischen unterschiedlichen Interessen der Provinzen, ein stetiger Strom von Anträgen und Gutachten im Parlament, bevor man sich über die Streckenführung einigen konnte, und – natürlich – die staatlichen Finanzen.
Schon 1875 richtete der Reichstag wirtschaftliche Forderungen an die Schwedischen Staatsbahnen. Falls der Betrieb mit Verlust lief, sollten keine staatlichen Subventionen gezahlt werden. Wurden andererseits Überschüsse erwirtschaftet, sollten die Tarife gesenkt werden, um das politische Ziel der Eisenbahn zu fördern: einen Beitrag für gute Voraussetzungen für die industrielle Entwicklung im gesamten Land zu leisten. Dank der zügigen Industrialisierung ging es der Eisenbahn gut, und die Fahrpreise wurden mehrmals gesenkt.
Als man gegen Ende des 19. Jahrhunderts über den Bau der Inlandsbanan nachzudenken begann, machte sich niemand Sorgen um die Rentabilität dieser Bahnlinie. Schließlich ging es um wirtschaftliches und regionales Wachstum.
Aber als Generaldirektor A. Granholm bei der Eröffnung der Inlandsbanan in Kåbdalis (zwischen Arvidsjaur und Jokkmokk) 1937 den letzten Nagel einschlug, konnte man schon ahnen, dass die Bedeutung von Autoverkehr, Straßenbau und Busverbindungen in den Gemeinden des inneren Norrland immer mehr zunehmen würde.
Die gesellschaftliche Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg wies in die Richtung von Streckenstilllegungen und stark ansteigendem Autoverkehr. Die Inlandsbanan hatte mit wachsenden Problemen zu kämpfen, einige Streckenabschnitte wurden stillgelegt und der Verkehr ausgedünnt. Schließlich schien die komplette Stilllegung unmittelbar bevorzustehen.
Dank eines wachsenden, engagierten Widerstands konnte der Trend jedoch umgekehrt werden. Anfang der 1980er Jahre gründeten die Gemeinden entlang der Strecke die Gesellschaft Inlandsbanan AB (IBAB), und durch Verträge und Vereinbarungen wurden die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Bahnverkehrs geschaffen, der an die heutigen Bedürfnisse angepasst wurde. Inzwischen hat sich die Inlandsbanan zu einer lebenskräftigen Eisenbahn mit den Schwerpunkten Güter¬verkehr und Tourismus entwickelt. In den Sommermonaten findet fahrplanmäßiger Verkehr statt, der Lok- und Wagenpark wurde modernisiert, und die Bahnstrecke wird sukzessive verbessert.
Während des letzten Jahrzehnts ist der kulturgeschichtliche Wert der Inlandsbanan immer mehr in den Vordergrund gerückt. Entlang der über 1.000 Kilometer langen Strecke ist eine fast intakte Struktur von Anlagen und Gebäuden aus der Dampflok- und Schienenbusära der 1940er und 1950er Jahre erhalten geblieben. Und immer mehr Menschen lassen sich dazu anregen, mit dieser geschichtlich und kulturell interessanten, reizvollen Bahn durch das norrländische Binnenland zu fahren.
Text: Lars Abelin